Die Göttin Flora

Sie trägt einen klangvollen Namen, und nicht nur einen. Flora. Demeter, vielleicht auch Freya. Brighid. Gaia.

Sie labt und mit ihren Farben und ihrer Frische, wenn sie im Frühjahr die ersten ihrer Geschöpfe zum Leben erweckt. Sie lässt die Pflanzen wachsen, die uns ernähren und ohne deren Tagesatem kein Leben möglich wäre auf der Erde. Die Bäume, die uns Schatten spenden, die Getreide, die wir essen, die farbenprächtigen Blüten, die wir bewundern: Sie alle sind ihre Kinder und ihre eigene Gestalt zugleich.

 

Sie ist steht hoch droben wie die höchsten Wipfel, dem Himmel ganz nahe, und schläft tief in der Erde mit den Wurzeln. Ihre Kleider sind grün wie das Blattwerk und ihr Haar ist ein einziges Blumenmeer. Sie funkelt und schillert wie die Blüten des Hahnenfuß und duftet lieblich wie Rosen und Jasmin.

Sie ist eine schöne Göttin, das steht außer Frage. Eine großzügige Göttin.

Doch sie kann auch anders sein.

Wenn das Jahr beginnt, laben wir uns an jedem Grün, an jeder Blüte, die nach der Winterkälte hervorkommt. Wir genießen die Pracht der Frühblüher, wenn sie in mystischen Teppichen die Waldböden und Wiesen bedecken. Wir loben ihre Grazie, wenn Tulpen und Narzissen und zu Ostern erfreuen und die Sträucher und Obstbäume blühen. Wir seufzen wonnig, wenn alle Bäume wieder ihr Laub tragen und die Welt grün und nur noch grün ist.

Dann aber wendet sich das Rad.

 

Noch immer lieben wir, wie die Finger der Flora Blüten über Nacht mit ihrem Zauber öffnen. Wenn die ersten Radieschen in unserem Garten wachsen und das Gemüse für den Sommer schön in den Beeten steht. Aber langsam, stetig, beginnt das Ringen mit der Göttin.

Ampfer, Giersch und Nesseln recken sich in die Höhe, bis sie uns stolpern lassen. Jedes Fleckchen der kostbaren Erde wird von Floras Gesandten erobert, bis die menschliche Gärtnerin den Kampf antritt und mit brennenden Armen, Nesselstichen überall, wieder erringt, was kein Nesselfeld werden sollte. Doch Flora schläft nie. Ihre Scharen sind zahlreich, schnell und lautlos. Die gerade befreite geliebte Blütenpflanze, der schmale Weg, der Platz zum Sitzen – es dauert nicht lang, schon stehen dort wiederum ihre Boten, unaufhaltsam und bewaffnet mit Dornen oder Gift. Eine grüne Flut.

 

Flora ist eine schöne Göttin, das steht außer Frage. Eine mächtige und großzügige Göttin.

Doch ihr Segen kann manchmal recht anstrengend sein.